Auswirkung von Terror auf die Artillerie

Terrorakte beabsichtigen die Gesellschaftsordnung durch Furcht und Schrecken zu beeinflussen. Die Artillerie ist kaum direktes Ziel solcher Anschläge. Allerdings wurden in Folge von 9/11 ihre Mittel und Verbände massiv abgebaut. Für die Zukunft muss die Artillerie wieder gestärkt werden. Unsere Sicherheit hängt nach wie vor auch von den Fähigkeiten mechanisierter Verbände ab.

Am 14.01.1858 schleudern Felice Graf Orsini zusammen mit Verbündeten 3 Bomben aus Knallquecksilber auf die Wagenkolonne des eintreffenden Kaisers Napoléon III vor der Oper in Paris. Die enormen Explosionen brachten die Strassenbeleuchtung zum Erlöschen, das Glasdach über dem Eingang der Oper zerbarst und 148 Menschen wurden verletzt, 8 starben. Der Kaiser und seine Frau blieben wie durch ein Wunder unverletzt. Der italienische Rechtsanwalt Orsini wollte damit die Welt auf die Situation in Italien aufmerksam machen, wo die Zerstrittenheit mehrerer Staaten die andauernde Besetzung durch Österreich begünstigte.(1)

Orsinis Bombenattentat gilt als erster Terroranschlag moderner Ausprägung. Bis heute bleibt ein solches Vorgehen typisch für Terrorismus. Gemäss Taktischer Führung der Schweizer Armee zeichnet sich ein Terrorakt durch eine extreme, konzentrierte Gewaltanwendung aus und soll ein Maximum an Wirkung erzielen. Dabei ist die Auswahl des Zieles zur Erzeugung von Medienaufmerksamkeit von entscheidender Bedeutung. Es wird beabsichtigt die herrschende Gesellschaftsordnung mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken zu beeinflussen oder zu ändern.(2)

Auch die Terroranschläge vom 11.09.2001 auf symbolkräftige zivile und militärische Gebäude in den Vereinigten Staaten folgten diesem Muster. Das Vorgehen wurde in einer Konsequenz ausgeführt, dass die Welt seither eine andere zu sein scheint. Auch wenn die Artillerie nicht direkt Ziel terroristischer Anschläge ist, hat auch sie die Auswirkungen von 9/11 zu spüren bekommen.

Kurzfristige Auswirkungen: Know-how Verlust durch AMBA CENTRO

Nach den Terroranschlägen von 9/11 und dem darauffolgenden „Krieg gegen Terror“ hat sich die Bedrohungslage auch in der Schweiz verschärft. Insbesondere mussten hierzulande die Botschaften und Konsulate von involvierten Staaten stärker beschützt werden. Diese personalintensiven Objektschutzmassnahmen konnten die Kantone nicht selbst bewerkstelligen. Daher hat der Bundesrat 2004 die Armee beauftragt, die zivilen Behörden beim Schutz ausländischer Vertretungen zu unterstützten. Der Einsatz erfolgte subsidiär, also unter Führung der zivilen Behörden. Initial war er bis 2007 befristet und auf maximal 800 Angehörige der Armee beschränkt.

Mit dem Entwicklungsschritt 2008/11 wurde die Armee für subsidiäre Einsätze zugunsten ziviler Behörden und Raumsicherungseinsätzen ausgerichtet und die Artillerie geschwächt.

Rasch kam Kritik an diesem Einsatz der Armee auf. Zur Erfüllung dieser subsidiären Aufträge mussten auch WK-Verbände der Artillerie, Panzertruppen oder Infanterie eingesetzt werden. Die Politik sah das Ausbildungsniveau, dieser für die Verteidigung vorgesehenen Truppenkörper, gefährdet – und damit die Glaubwürdigkeit der ganzen Schweizer Armee. Schon 2005, dem ersten Jahr dieses Einsatzes, wurden 3 der damals 8 aktiven Artillerieabteilungen für AMBA CENTRO aufgeboten. Für die eingesetzten Truppen war die Dienstleistung meist langweilig und wenig anspruchsvoll. Die Kader der Stäbe und Kommandanten wurden aufgrund des Subsidiaritätsprinzips kaum benötigt.

Schlussendlich musste selbst die Landesregierung eingestehen, dass eingesetzte Verbände nahezu keine Gefechtsausbildung absolvieren können. Fortan wurde beabsichtig nach Möglichkeit Durchdiener für die Auftragserfüllung einzusetzen.(3)

Zweifelsohne sind in dieser Zeit diverse Ausbildungslücken entstanden. Und so manch geeigneter Offizier hat resigniert von einer nächsten Weiterentwicklung abgesehen.

Mittelfristige Auswirkungen: Massiver Abbau mit dem ES 08/11

Durch Pfeile dargestellte Verschiebungen der Bedrohungen, Gefahren und Risiken (Vergleich Jahr 2000 mit Jahr 2006). Grafik: Botschaft ES 08/11

Anfangs 2004 wurde die Armee XXI eingeführt, welche auf den Bedrohungen, Gefahren und Risiken aus dem Sicherheitspolitischen Bericht 2000 basierte. Dabei wurde erkannt, dass die Schweiz auf längere Zeit hinaus nicht von anderen Armeen bedroht ist. Hingegen wurden nicht weniger gefährliche Herausforderungen unterhalb der eigentlichen Kriegsschwelle identifiziert, namentlich der Terrorismus. Nicht antizipiert wurde hingegen, dass die Terrorbedrohung über Jahre hinweg auf einem permanent erhöhten Niveau anhält. Folglich geht es nicht um die Bewältigung kurzfristiger und temporärer Spitzen. Vielmehr handelt es sich um eine auf Dauer erhöhte Bedrohung, die entsprechend auch einen permanent gesteigerten Sicherheitsaufwand erfordert und sich jederzeit kurzfristig verschärfen kann.

Mit dem Entwicklungsschritt 2008/11 sollten die Mittel der Armee daher für subsidiäre Einsätze zugunsten der zivilen Behörden und Raumsicherungseinsätze verstärkt werden.

Für die Artillerie bedeutete dies eine weitere Reduktion von Verbänden und der Ausserdienststellung von 162 Panzerhaubitzen sowie der vollständigen Auflösung der Festungstruppen.(4)

Langfristige Auswirkungen: Einbezug neuer Gefahren

Die direkte Androhung oder Anwendung bewaffneter Gewalt durch staatliche Akteure bleibt in Europa eine Realität. Dabei werden in Konflikten immer mehr hybride Mittel eingesetzt, beispielsweise durch den Einsatz von nicht gekennzeichneten Truppen oder Cybermitteln. Ebenfalls treten staatliche und nicht staatliche Akteure gleichzeitig auf, unter anderem auch terroristische Organisationen.

Die wahrscheinlichste terroristische Bedrohung in der Schweiz geht von Personen aus – wie es die Attentate in Morges (19.09.2020) und Lugano (24.11.2020) gezeigt haben –, deren gewalttätige Orientierung ebenso in persönlichen und psychischen Krisen wie in ideologischen Überzeugungen wurzelt. Es ist davon auszugehen, dass die Schweiz weiterhin ein sekundäres Ziel für Anschläge bleibt. Jedoch können internationale Organisationen und Interessen von Drittstaaten, die auf internationaler Ebene eine massgebliche Rolle im Kampf gegen den Terrorismus spielen, Ziele von Angriffen auf Schweizer Territorium sein.(5)

Die Armee muss heutzutage im ganzen Spektrum hybrider Bedrohungen in der Lage sein, das Land, die Bevölkerung sowie die Infrastrukturen wirksam zu schützen und zu verteidigen. Dabei ersetzen neue Bedrohungen die alten nicht, sondern sie ergänzen sie!

Konsequenzen für die Artillerie

Auch in Zukunft wird eine starke Artillerie für die Sicherheit in der Schweiz benötigt. Den Abbau von Fähigkeiten, Mitteln oder Verbänden, wie er unter anderem als Folge von 9/11 geschehen ist, gilt es zu korrigieren. Die Artillerie muss endlich wieder befähigt werden, die Einsatzverbände rasch und ausreichend mit indirekt wirkenden Mitteln unterstützen zu können. Zum einen soll sie sowohl im allgemeinen Feuerkampf auf mindestens 50 km wirken, wie auch die Kampfverbände durch unmittelbares Feuer unterstützen können. Zum anderen muss sie sowohl Flächenziele bekämpfen, wie auch präzise in urbanem Gelände wirken können. Und letztendlich benötigt sie einen starken Eigenschutz. Das beste Artilleriesystem nützt nichts, wenn es auf einfachste Weise – von konventionellen oder irregulären Kräften – ausser Gefecht gesetzt werden kann.

Quellen

  1. Carola Dietze: Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA 1858–1866.
  2. Schweizer Armee: Taktische Führung 17, Kapitel 3 – Bedrohung und Gefahren, Ziff 3038 f.
  3. Bundesrat: Stellungnahme zu 05.3767 Interpellation „Amba Centro und die Ausbildung unserer Milizarmee“.
  4. Bundesrat: 06.050 Botschaft zur Umsetzung des Entwicklungsschrittes 2008/11 der Armee.
  5. Bundesrat: Sicherheitspolitischer Bericht (Entwurf) 2021.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.